Räume öffnen, Dialoge ermöglichen

Landessuperintendent Dr. Hans Christian Brandy

Christian Brandy, Landessuperintendent im Sprengel Stade.
Foto: Jens Schulze, Pressestelle

In einem Schloss lebte einst ein vornehmer und reicher Herr.
Sein ganzes Vermögen verwendete er darauf, sein Schloss immer noch prächtiger auszustatten. Eines Tages kam ein Pilger zum Schloss, klopfte an und bat um ein Nachtlager.
»Mein Schloss ist kein Gasthaus«, erklärte er dem Pilger und wollte schon das Fenster am Tor schließen. Der Pilger aber sagte: »Ich ziehe gleich weiter. Aber bitte, beantwortet mir vorher drei Fragen.« Darin willigte der Schlossherr ein, denn er war nicht nur reich, sondern auch neugierig.

»Meine erste Frage«, begann der Pilger, »ist die: wer wohnte vor euch in diesem Schloss?« »Selbstverständlich mein Vater«, antwortete der Schlossherr. »Und wer«, fragte der Pilger weiter, »wohnte vor eurem Vater dort?« »Mein Großvater«, antwortete der Schlossherr. »Und«, fuhr der Pilger fort, »wer wird wohl nach euch in eurem Schloss wohnen?« »Mein Sohn«, antwortete der Schlossherr irritiert. »Wenn das so ist«, sagte schließlich der Pilger, »wenn jeder nur eine Weile in diesem Schloss wohnt und dann Platz macht für einen anderen, was ist dieses Schloss dann anderes als ein Gasthaus? Und was seid ihr selbst anderes als Gäste?«

Ja, liebe Gemeinde, Gäste sind wir auf dieser Erde, Pilger auf der Wanderschaft. Für uns als Pilgergemeinde im Evangelischen Bildungszentrum Bad Bederkesa ist dieser Tag ein besonders schöner und wichtiger Tag, ein Aufbruch zu einer neuen Etappe.

Unser Bildungszentrum ist kein Schloss und soll keines sein. Aber anders als das erwähnte Schloss steht es offen für Gäste. Und es ist jetzt ein gründlich saniertes Haus und hat nun den wunderbaren neuen Anbau. Damit ist es bereit für viele Menschen, die hier eine Zeit lang zu Gast sind, die wichtige Impulse erfahren bei den Bildungsveranstaltungen, Impulse zur beruflichen Kompetenz wie zur Entwicklung der Persönlichkeit, die Gemeinschaft erleben und Erfahrungen mit Kirche machen.

Keinem von uns gehört das Bildungszentrum, wir alle sind Gäste für eine Zeit lang, wir sind treuhänderische Verwalter. Manche, die vor uns Verantwortung getragen haben, sind heute hier. Mit der Sanierung des Bestandes und dem Anbau ist das Bildungszentrum für viele Jahre zukunftsfähig, darüber freue ich mich sehr. Der Dank wird später noch in differenzierter Weise zum Ausdruck gebracht. An dieser Stelle möchte ich summarisch allen großen Dank sagen, die zum Gelingen beigetragen haben, Geldgeber, Planer, Handwerker und Techniker und viele mehr.

In diesen Dank schließe ich alle Mitarbeitenden des Hauses mit ein, die ein besonders anstrengendes Jahr hinter sich haben – und ganz besonders Sie, lieber Herr Dr. Matzen. Ohne Ihre Planung, Ihre Initiative und Ihre tagtägliche Präsenz gäbe es diesen Tag nicht. Haben Sie vielen Dank!

Wir sind Gäste, wir sind Pilger auf dieser Erde. Das war bestimmend für uns auch bei diesem Bau. Diese Erde ist uns treuhänderisch anvertraut, schonend mit ihr umzugehen ist uns wichtig. Wir sind nicht Herren der Erde, wir sind Geschöpfe Gottes, Mitgeschöpfe mit allen anderen Geschöpfen.

Was heißt es, wenn wir die Welt als Schöpfung Gottes verstehen? Darüber will ich aus gegebenem Anlass nachdenken.

I.
Wir haben Verse gehört aus dem ersten Kapitel der Bibel, eine staunende, eine dankende Beschreibung der Schönheit der Welt. Gott sprach, es ist alles sehr gut. Diese Welt ist Gabe Gottes. Sie ist Geschenk seiner Liebe. Schöpfung ist Selbsthingabe Gottes, sagt Martin Luther. Im Kleinen Katechismus formuliert er einzigartig: »Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält (…), mich reichlich und täglich versorgt (…); und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn’ all mein Verdienst und Würdigkeit.«

Für unser Bild vom Menschen heißt das – und das ist ja wichtig für ein Bildungshaus: Wir sind nicht zuerst Täter, wir sind nicht Macher und müssen es nicht sein, wir sind nicht Leute, die ihr Leben selbst erzeugen und optimieren müssen. Wir sind Geschöpfe unter Mitgeschöpfen, wir verdanken uns. Die Theologin und Dichterin Christina Brudereck hat die Schöpfungsgeschichte nachgedichtet. Ich zitiere einen Teil daraus:

Ich kann nicht anders muss als Allererstes
Gott als den großen Künstler beschreiben
Wie er am ersten aller Tage
sprach: es werde – und es wurde
so dass diese Welt nicht einfach vom Himmel fiel
sondern ins Leben geliebt wurde
Und am zweiten aller Tage
als die Festen zu neuen Räumen wurden
und der Himmel entstand
verrückte Erde, da hingerückt, da weggerückt
es entstanden
der Kilimandscharo, die Toskana, die Sahara
das Kap der Guten Hoffnung [und das Elbe-Weser-Dreieck]
Und wie am dritten Tag der Erde das Grün aufging
Olivgrün, Türkisgrün, helles Lindgrün, Gras- und
Waldgrün, Smaragdgrün, Neongrün, Flaschengrün
Goldgrün und Kiwigrün
kleine Halme, starke Bäume, Blumen

Und Gott machte Rosen in verschiedenen Farben
und für verschiedene Orte
Kletterrosen, Heckenrosen, Seerosen
für eins von Gottes Lieblingsfesten: Pfingstrosen
und eine für Jesus, eine Christrose

Und dann am sechsten Tag
machte Gott alle Sorten Tiere
Kamele, kleine und große Katzen, Goldfische
Zebrastreifen und Zitronenfalter, weiße Tauben, schlaue Füchse
Ponys, Puten, Piranhas, Perlhühner, Pelzmäuse, Präriehunde
Papageien und PudelUnd dann machte er als Extra-Vergnügen noch
Muscheln, Diamanten, Perlen, Honig, Himbeeren, Kokosnüsse
und Kaffeebohnen (und fragte sich, schmunzelnd: ob die rausfinden, wie man das lecker kriegt?)
Und dann guckte er sich das alles an
und gab ihm die Note »sehr gut: eins« und fühlte sich einsam
und machte zwei, wollte es so gerne mit jemandem teilen
und erfand den Menschen
auch in verschiedenen Variationen
große, kurze, runde, drahtige, dürre, faustdicke, schmale, leichte
blasse, dunklere, lockige, sommersprossige
– unterschiedlich, aber innen, und das ist wichtig, haben alle ein Herz

Und Gott segnete das Ganze
setzte seine große Unterschrift
unter sein göttlich einmaliges Kunstwerk*

II.
Die erste Haltung gegenüber der Schöpfung ist das Staunen und das Danken.
Ein Zweites aber folgt daraus. Die Verantwortung für die Schöpfung. »Schöpfung ist Anrede der Kreatur durch die Kreatur«, hat ein kluger Mensch gesagt. Gott redet uns an auch durch die Schöpfung. Diese Anrede wartet auf Antwort. Wer die Schönheit der Welt als An-Rede des Schöpfers hört, der ist zur Antwort, zur Verantwortung gerufen. Staunen und Danken führt zur Ver-Antwortung.

Schöpfung ist eben etwas anderes als Natur, sie ist nicht einfach eine »ausgedehnte Sache«, nicht Objekt unseres Zugriffs. Dazu hat die Neuzeit sie weitgehend gemacht – mit Konsequenzen, die unübersehbar sind.

Keine Frage – auch das Christentum ist hier nicht ohne Schuld. »Macht euch die Erde untertan« – dieser biblische Satz ist missverständlich und er ist auch missverstanden worden. Er ist richtig verstanden nur, wenn er im Zusammenhang gesehen wird mit dem anderen Auftrag, die Erde »zu bebauen und zu bewahren«. Die Erde ist uns anvertraut, sie schonend zu bebauen und zu bewahren.
Wir sind Gäste, Pilger, Treuhänder des Schöpfers, die empfangen und weitergeben, so pfleglich und liebevoll wie möglich.

Hier sind wir als Kirche herausgefordert, unseren Teil zur Bewahrung der Schöpfung beizusteuern. Deshalb setzen wir uns entschieden ein für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Und deshalb ist es so wertvoll, dass wir jetzt dieses Plus-Energie-Haus haben. Um zu zeigen, wie man nach bestem Wissen heute ökologisch und energieoptimiert bauen kann, mit Stroh und Papier und Glas, mit Wärmetauscher und Hightech-Lüftungstechnik, mit LED und Solar Tubes. Ich wünsche mir, dass viele kommen, auch aus Kirchengemeinden, und sich das anschauen und nachmachen, was möglich ist.

III.
Wir weihen dieses Haus ein in der Osterwoche, in der wir das Fest des Lebens feiern, Gottes Leben, Gottes neue Schöpfung, die über den Tod hinausreicht.

Ostern, Gottes neue Schöpfung, sie lässt in einem anderen Licht auch auf die Schöpfung und unseren Umgang mit ihr schauen. Denn wer um die Wirklichkeit von Ostern weiß, muss nicht mehr alles aus diesem Leben herauspressen. Wer das »Leben als letzte Gelegenheit« – so Marianne Gronemeyer – sieht, der steht ständig unter Druck, wird atemlos und schnell auch rücksichtslos, auch gegenüber den Mitgeschöpfen. Im Licht von Ostern aber gilt nicht mehr das Drohwort des Todes: »Du lebst nur einmal.« Wer in der Gegenwart des Auferstandenen lebt, muss nicht mehr rastlos sich selbst und andere ausbeuten. Ostern eröffnet eine andere, eine ewige Lebensperspektive.

Wer im Licht der Auferstehungshoffnung lebt, kann daher gelassener als Pilger durch diese Welt gehen, kann sich freuen an den Dingen, aber muss sich nicht überlasten, kann immer einmal innehalten an gastlicher Stätte, z.B. im Evangelischen Bildungszentrum.

Und er kann sich gelassen einsetzen für die Schöpfung, auch im Wissen um die eigenen Grenzen und die beschränkten eigenen Kenntnisse.

Gott sitzt im Regimente – auch dafür steht Ostern. Ja, uns ist es aufgetragen, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Aber wir sind nicht Herren der Erde, auch nicht die, die die Schöpfung erhalten könnten. Das ist Gottes Werk. Menschliche Allmachtsphantasien führen immer ins Unglück. Gott selbst erhält seine Welt. Uns hat er eingesetzt zu Gärtnern, zu Mitgestaltern in dem Verantwortungsbereich, der uns möglich ist.

Als Menschen im Licht von Ostern leben wir in unserer Welt und wollen die Schöpfung mitgestalten, so gut wir können. Wir dürfen handeln, im begrenzten Bereich unserer Verantwortung, getrost und fröhlich, als gerechtfertigte Sünder.

So danken wir Gott an diesem Tag. Auf dem Weg zu ihm sind wir als Pilger durch diese Zeit und durch diese Welt, auch das möge die Gastfreundschaft in diesem Hause prägen: »Das ist der Gastfreundschaft tiefster Sinn«, hat Romano Guardini gesagt, »dass ein jeder dem anderen Rast gebe auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause.«

(*Christina Brudereck, Gott der große Künstler, in: Zwischenzeilen. Gesammelte Gedichte, Witten 22012, S. 62-65.)