Räume öffnen, Dialoge ermöglichen

Dr. Eduard v. Reden-Lütcken

Dr. Eduard v. Reden-Lütcken ist seit 1969 Mitglied der Ritterschaft und seit 2002 Präsident. Mit großem persönlichen Einsatz hat Herr v. Reden die Kooperation der Ritterschaft mit dem Ev. Bildungszentrum und die Umbauarbeiten des Klosters Neuenwalde vorangetrieben.

Herr von Reden-Lütcken, Gäste im Kloster Neuenwalde sind überrascht, dass es eine Einrichtung wie die Ritterschaft heute überhaupt noch gibt, zumal im Elbe-Weser-Dreieck. Man stellt sich wehrhafte, schwer gerüstete, berittene Krieger des europäischen Mittelalters vor. Was ist die Ritterschaft?

Formal ist die Ritterschaft eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie engagiert sich gemeinwohlorientiert für Belange ihrer Heimat zwischen Elbe und Weser, die früher zum Herzogtum Bremen gehörte. Und das seit Hunderten von Jahren.

Und von Ihren Anfängen? Die Ritterschaft war ja nicht von Beginn an eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Was war die Aufgabe der Ritterschaft von Beginn an?

Die Ritterschaft des Herzogtums Bremen wurde 1397 erstmals erwähnt. Man kann die Ritterschaft nur verstehen im Zusammenhang mit der historischen Landschaft. Die historische Landschaft war Ständevertretung, Selbstverwaltungseinrichtung und damit eine der tragenden Säulen der Volksvertretung, zunächst bis 1648 gegenüber dem Erzbischof von Bremen als Landesherrn. Und dann gegenüber den späteren Landesherrn: Schweden, Dänen, dem Königreich Hannover und Preußen.
Zur ›Landschaft‹ zählt die Ritterschaft (1. Kurie) zusammen mit den Städten und Gemeinden (2. Kurie ) – z.B. Stade, Bremervörde und Verden – und den freien Bauern, dem platten Land (3. Kurie); das sind von den Kreistagen der Landkreise entsandte Abgeordnete.
Die Ritter waren sozusagen die Vertreter des Landesherrn im platten Land und gleichzeitig dessen Gegenpart. Einerseits haben sie die Interessen des Landesherrn in der Fläche wahrgenommen. Wenn der Landesherr im Mittelalter ihr Land, ihr Territorium verteidigt hat oder irgendjemanden in der Nachbarschaft angriff, brauchte er dazu wehrhafte Männer, Pferde, Schwerter und Reiter. Das hat die Ritterschaft gestellt. Je nach Größe des landwirtschaftlichen Betriebes hatte er entweder einen Ritter, mehrere Soldaten oder sogar eine ganze Truppe zu stellen.
Andererseits hat der Erzbischof damals immer die Zustimmung der Landschaft, der Landstände gebraucht, um zusätzliche Steuern zu erheben.

Wie ist man Ritter geworden?

Seinerzeit musste man adelig sein, von ehelicher Geburt und natürlich volljährig und von unbescholtenem Ruf. Die wichtigste Voraussetzung aber war das Eigentum an einem in der Matrikel von 1577 aufgeführten Guts und einem angemessenen Wohnhaus, dem sogenannten Castrum. Das Land musste eine bestimmte Größe haben und bewirtschaftet werden.

So gibt es Herrenhäuser, aber auch große reetgedeckte Höfe als Rittersitze. Jeder, der die Anforderungen erfüllte, konnte einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen.

Die Matrikel…?

…ist ein Buch, in dem die Rittergüter zusammengefasst wurden.

Wird die Mitgliedschaft in der Ritterschaft vererbt?

Die Mitgliedschaft in der Ritterschaft hängt davon ab, dass man Eigentümer eines matrikelfähigen Rittergutes ist. Wer Eigentümer eines solchen Hofes ist, kann nach einem entsprechenden Antrag nach Beschlussfassung durch den Rittertag Mitglied der Ritterschaft werden. Geändert hat sich, dass der Eigentümer eines solchen Hofes nicht mehr adelig sein muss. Er muss heute auch nicht mehr aus dem Elbe-Weser-Dreieck kommen. Nach 1945 haben wir ja eine kleine Völkerwanderung gehabt. Da sind auch Leute aus dem Osten gekommen, die in einen Ritterhof eingeheiratet haben. Die sind jetzt in der Ritterschaft mit Namen, die sonst nur in Schlesien vertreten waren.

Wie viele Ritter gibt es?

35.

Ausschließlich männlich?

Nein, wir haben zwei Damen, die als Töchter von Rittern die Güter geerbt haben und einen entsprechenden Aufnahmeantrag gestellt hatten.

Seit wann ist das so?

Seit 2002. Ich habe aufgegriffen, was mein Vorgänger schon vorbereitet hatte. Die Aufnahme von Frauen in die Ritterschaft war sehr umstritten. Heute regt sich natürlich kein Mensch mehr darüber auf.

Die Ritterschaft des Herzogtums Bremen wurde 1397 erstmals erwähnt. Was waren in den mehr als 600 Jahren die wesentlichen geschichtlichen, also politischen und gesellschaftlichen Einschnitte für die Ritterschaft?

Ein wesentlicher Einschnitt war ganz sicher, dass der Ritterschaft im Jahre 1683, zur Schwedenzeit, das Kloster Neuenwalde vom schwedischen König Karl XI zur Erziehung und als Alterssitz für ihre ledigen adeligen Töchter übereignet wurde. Man muss sich ja vorstellen, dass die Frauen zu damaliger Zeit keinen Beruf gelernt haben. Sie hatten keine Rentenversicherung, keine Altersvorsorge. Die ledigen Frauen wurden dann von ihren Familien ins Kloster geschickt.
Einschneidend war sicher auch, dass in der Ritterschaft ›Bürgerliche‹ Mitglied sein konnten und später auch Frauen aufgenommen wurden.

Nochmals zum Kloster. Das ist fein, aber auch vergleichsweise klein. Es waren daher nicht sehr viele Damen, die dort aufgenommen werden konnten …

…12.

Konnten damit auch alle unverheirateten adeligen Töchter im Kloster untergebracht werden?

Nein, es gab eine Liste, und man musste einen Antrag stellen. Es gab gewisse Kategorien. Töchter von Rittern hatten den Vorrang vor Verwandtschaft und denjenigen, die gar nicht zur Ritterschaft gehörten. Bei einem freien Klosterplatz hat der Rittertag entschieden, wer dorthin kommt. Diese Listen gibt es längst nicht mehr, weil die Nachfrage nachgelassen hatte, sodass dann auch Wohnungen an Außenstehende vermietet wurden.

Was tut die Ritterschaft heute für ihre Mitglieder und für die Öffentlichkeit?

Unsere Mitglieder haben ja größtenteils große Güter und Gutshöfe, große Wohnhäuser, fast Schlösser, die natürlich die Kulturlandschaft der Elbe-Weser-Region mit prägen. Aber die Erträge aus den landwirtschaftlichen Betrieben reichen nicht aus, diese stattlichen Häuser zu erhalten. Wir fördern Reparatur- und Sanierungsarbeiten, aber auch die Beratung der Rittergüter. Und den größten Teil unseres Geldes haben wir in den Umbau und die Sanierung des Klosters investiert. Das Kloster ist ein Teil der öffentlichen Kulturlandschaft, und die wollen wir erhalten.

Und was tut die Ritterschaft im öffentlichen Raum und für Nichtmitglieder?

Wir erhalten und fördern hochwertige Kulturdenkmäler, die zur Identität unserer Landschaft gehören.
Dann haben wir Stipendien auch an junge Menschen aus den östlichen EU-Ländern vergeben, unterhalten das ritterschaftliche und landschaftliche Archiv, das jetzt im niedersächsischen Staatsarchiv Stade untergebracht ist; wir haben die Wirtschaftsförderung im Elbe-Weser-Dreieck angeschoben und nicht zuletzt Kindertagesstättenaktivitäten in den Landkreisen gefördert.

Woher kommt das Geld für diese Aktivitäten?

Das kommt aus der Vermietung von Immobilien. Dann haben wir in Neuenwalde einen zum Kloster gehörenden Klosterforst mit 370 Hektar, der auch etwas abwirft, und die Ritterschaft hat eine kleine Bank, das Ritterschaftliche Kreditinstitut, das 1847 als Selbsthilfeeinrichtung für die ländliche Landwirtschaft gegründet wurde.

Sie sind sicherlich kein Hellseher, aber wie steht’s um die Zukunft? Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie für die Bremische Ritterschaft?

Also wenn man so weitermacht wie bisher und sich bescheiden und bodenständig den geänderten Gegebenheiten anpasst, so wie wir das durch die Kooperation mit dem Ev. Bildungszentrum in Neuenwalde gemacht haben, dann sehe ich die Zukunft sehr positiv. Man darf nur nicht rückwärtsgewandt am Alten festhalten, egal wie die Welt sich verändert.

Worin sehen Sie den ideellen Sinn der Ritterschaft?

Den ideellen Sinn der Ritterschaft sehe ich in erster Linie – wie gesagt – im Erhalt der Rittergüter als Teil der Kulturlandschaft. Wir sind der Meinung, das gehört einfach mit dazu. Das muss man unterstützen, damit die Güter den Konzentrationskampf in der Landwirtschaft auch überstehen können. Zweitens müssen wir das Kloster und die Heilig-Kreuz-Kirche in Neuenwalde erhalten. Das kostet viel Geld, aber das sind so Sachen, meine ich, die wert sind, auch erhalten zu bleiben, nicht nur als Gebäude, sondern auch als Botschaft, die damit verbunden ist. Kirche hat uns viele Jahrhunderte gedient. Die haben nicht nur Gutes getan, aber ohne die Kirche, ohne die ganzen ›Grundsätze‹ der Kirche wie die zehn Gebote gäbe es kein Grundgesetz, keine freiheitlich-demokratische Ordnung. Wir fühlen uns als eine Einrichtung, die das Bestehende, das Kulturgut, das sich über die Jahrhunderte entwickelt hat, durch den Wandel der Zeit hindurch mit erhält.

Sie sind seit 2002 Präsident der Ritterschaft. Was sind die Aufgaben eines Ritterschaftspräsidenten?

Das steht in der Satzung. Heute würde man sagen, der Ritterschaftspräsident erledigt das operative Geschäft der Ritterschaft. Er ist eine Art Geschäftsführer.

Sie sagen operativ, wer macht denn die Strategie?

Ja, der Ritterschaftspräsident muss auch die Strategie entwickeln und die so überzeugend darlegen, dass die Ritterschaftsmitglieder alle sagen, ja, das machen wir. Die Ritterschaftsmitglieder stehen ja alle voll in ihrem Berufsleben. Sie müssen sich um ihre Familien, um ihren Betrieb kümmern und mischen sich im Grunde nicht so intensiv in das tägliche Geschäft, und wenn sie die Strategie abgesegnet haben, dann läuft das eigentlich.

Herr v. Reden, Ihre Amtszeit geht dem Ende zu? Wenn Sie zurückblicken auf Ihre Präsidentschaft, was waren für Sie die Highlights, auch für Sie ganz persönlich?

Also, erstens habe ich die Entwicklung des Klosters schon als eine ganz wesentliche Aufgabe angesehen. Das war in den Vorjahren nicht unbedingt das Kerngeschäft der Ritterschaft. Für mich selber war es schon eine tolle Aufgabe, dieses Kloster so ein bisschen aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken. Nicht umsonst sagt die Denkmalpflege in Hannover, das ist ein hochwertiges Denkmal im Elbe-Weser-Dreieck und für die Regionalkultur wichtig. Es ist viel zu wenig bekannt, dass es hier ein Kloster gibt. Als ich Präsident wurde, rief mich der damalige Gemeindepastor an und sagte, wir müssten unbedingt was für die Kirche tun. Da habe ich mir das angeguckt und dachte, da hat er recht. Das war dunkel und schwarz und war nicht toll. Das war das erste Objekt, das wir gründlich saniert haben, die Kirche. Und da sah ich da oben in der Brüstung auf der Empore das Wappen meiner Familie, und dann habe ich gesagt, Donnerwetter, wenn die hier schon gewesen sind und was gemacht haben, da hast du ja auch eine gewisse Pflicht, etwas zu tun. Da habe ich mich schon sehr angesprochen gefühlt.

»Das Kloster ist ein Teil der öffentlichen Kulturlandschaft.«